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Andreas Fisahn über die Krise der EU

Andreas Fisahn hat in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift PROKLA einen Artikel über die Krise der EU verfasst, welche seiner Meinung nach nicht nur eine Finanz- sondern auch eine Demokratiekrise ist. Um das aufzuzeigen gibt er einen Abriss über die Geschichte der EU um dann auf die heutige Situation einzugehen.

Wir geben hier die beiden letzten Abschnitte des Artikels wieder auch als kleine Einstimmung auf eine Diskussionsveranstaltung, welche wir im Oktober mit Andreas Fisahn veranstalten werden:

 

5.    Durch die Kapitalverkehrsfreiheit zum europäischen Kasino

Im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit wurde durch Deregulierung harmonisiert und damit den Vorgaben der Verträge gefolgt. Auch hier ist ein Vergleich der geltenden Vorschriften mit denen der Römischen Verträge aufschlussreich. Nach dem EWG-Vertrag von 1957 sollten die Mitgliedstaaten Beschränkungen des Kapitalverkehrs untereinander beseitigen - und dann folgt die Einschränkung: "soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist" (Art. 67). Die allgemeine Wirtschafts- und Währungspolitik war in den Verträgen von 1957 lediglich als "Angelegenheit gemeinsamen Interesses" eingestuft, die nicht durch gemeinsame Rechtsmaßnahmen, sondern lediglich in Form von "Empfehlungen an die Mitgliedstaaten" koordiniert werden sollte (Müller 2007). Der entscheidende Punkt ist, dass die Liberalisierung des Kapitalverkehrs unter den Erforderlichkeitsvorbehalt gestellt wird, was den Mitgliedstaaten gestattete, Kapitalverkehrsbeschränkungen beizubehalten. Dieses eingeschränkte und bedingte Postulat, den Kapitalverkehr zu liberalisieren, galt bis zum Maastricht Vertrag 1993.
Deutschland kannte unter dem Regime der Römischen Verträge unterschiedliche Formen der Finanzmarktregulation, die zu unterschiedlichen Zeiten oder nebeneinander existierten und z.T. abgeschafft und wieder eingeführt wurden. So gab es eine Genehmigungspflicht für die Verzinsung von Einlagen auf ausländischen Konten. Das Wertpapiergeschäft war in unterschiedlicher Intensität genehmigungspflichtig, wie etwa der Erwerb inländischer Wertpapiere durch Gebietsfremde. Das war verbunden mit einer Kapitalertragssteuer (Kuponsteuer) für Gebietsfremde, die inländische Wertpapiere erwarben. Sog. Pensionsgeschäfte mit Gebietsfremden  waren ebenso genehmigungspflichtig wie der Verkauf inländischer Wertpapiere an Gebietsfremde oder die Aufnahme von Krediten im Ausland und die Veränderung der terms of payment, verstanden als vorgezogener Einzahlungen und verzögerter Auszahlungen. Es gab zeitweise eine besondere Mindestreservepflicht  auf Einlagen Gebietsfremder und eine Bardepotpflicht, um die Aufnahme von Auslandskrediten zu verteuern (Schmidt 2007: 67 ff). Frankreich verfolgte im Devisengesetz von 1966 das Ziel einer Devisenbewirtschaftung, die mit einem umfangreichen Instrumentarium von Kapital- und Devisenkontrollen erreicht werden sollte. In Italien war die Genehmigungspflicht von Devisen- und Kapitaltransfer ins Ausland die Regel (Weniger 1988: 110 ff). Solche Kapitalverkehrskontrollen waren die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929 und wurden von den europäischen Staaten in der ein oder anderen Form bis in die 1990er Jahre angewendet. 1994 hat Griechenland als letzter Mitgliedstaat der Europäischen Union seine Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft (Huffschmid 1999: 121).
Die Regelungen zur Kapitalverkehrsfreiheit im Lissabonner Vertrag (Art. 63 ff) haben die Ausnahmevorschriften der Römischen Verträge beseitigt und gehen damit weiter als die Bestimmungen zur Warenverkehrsfreiheit. Es gilt ein striktes, uneingeschränktes Verbot von Kapitalverkehrsbeschränkungen, das als "umfassende Liberalisierungspflicht" (Groeben/ Schwarze 2003: Art.56, Rn.30) des Kapitalverkehrs verstanden wird. Kapitalverkehrsfreiheit normieren die EU-Verträge nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch in Beziehung zu Drittstaaten. So wurde ein Rückschrittsverbot bei der Liberalisierung des Kapitalverkehrs etabliert. Die Liberalisierung gegenüber Drittstaaten kann mit einfacher Mehrheit beschlossen, aber nur einstimmig wieder zurückgenommen werden (Art. 64 AEUV).
Der EuGH nahm das auf und beschied, dass eine nationale Regelung, nach der die Ausfuhr von Hartgeld, Banknoten oder Inhaberschecks von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht wird, europarechtswidrig sei, weil sie gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt (EuGH RS-C-163/94, C-165/94 und C-250/94). In den Fällen zu den sogenannten "Goldenen Aktien", für welche die Entscheidung zum VW Gesetz (EuGH Rs. C-282/04) nur ein Beispiel ist, dehnte der EuGH die Kapitalverkehrsfreiheit so weit aus, dass er Stimmrechtsvorteile des jeweiligen Staates grundsätzlich wegen eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit untersagte.
Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs erreichte mit dem Investmentmodernisierungsgesetz der rot-grünen Koalition aus dem Jahre 2003 einen gewissen Höhepunkt. Veranlasst durch eine Änderung der OGAW-Richtlinie (EWG 1985) wurden in Deutschland bestimmte Geschäftspraktiken erlaubt, die typisch für Kapitalfonds sind, deren Ausbreitung dann von Franz Müntefering als Einfall der Heuschrecken beklagt wurde. Die Gesetzesbegründung zum Investmentmodernisierungsgesetz entbehrt nicht einer gewissen Ironie: "Anbieter von Hedgefonds sollen nach dem Gesetzentwurf in Deutschland auf moderne und liberale rechtliche Rahmenbedingungen treffen. Der Finanzplatz Deutschland ist mittlerweile reif für die Zulassung von alternativen Investmentprodukten. Die Hedgefonds-Branche scheint sich zu einer Branche entwickelt zu haben, die sich der mit Hedgefonds verbundenen Risiken bewusst ist und mit ihnen verantwortungsvoll umgeht. Es darf daher erwartet werden, dass die vom Gesetzgeber vorgesehenen Freiräume nicht missbraucht werden" (BT-Drs. 15/1553, S. 67).
Aus der konstitutionell abgesicherten Kapitalverkehrsfreiheit folgt nicht, dass es in der EU keine Regeln für die Finanzmärkte gibt. Diese sind aber im höchsten Grade marktkonform und sehen interventionistische Eingriffe in den Kapitalverkehr nicht vor. Eine nachhaltige Re-Regulation der Finanzmärkte, wie sie nach dem Finanzmarktcrash 2008 von den G20 angekündigt wurde, hat nicht stattgefunden (Fisahn 2011) und widerspricht dem Wortlaut, dem Ziel und der gegenwärtigen Auslegung der Kapitalverkehrsfreiheit im europäischen Primärrecht.
Die Re-Regulierung der Finanzmärkte wurde nicht nur deshalb zum Rohrkrepierer, weil die Interessen der Banken und anderer Spieler im globalen Kasino der Finanzwirtschaft mächtig sind. Vielmehr hat sich die Spekulation, der Vermögenseffekt der Spekulation zum Akkumulationsmodell entwickelt, das durchaus auch "realwirtschaftliche" Effekte zeigt. Denn der gewonnene Spekulationsgewinn kann, solange das Roulette sich dreht, in der Welt der wirklichen Waren ausgegeben werden und wirkt damit auf die Konjunktur. Die Spekulationsgewinnler konsumieren Waren, die produziert werden müssen und steigern so die Nachfrage in der "Realwirtschaft". "Die Gesellschaft wird durch fiktiven Reichtum real reicher. Leider gilt auch das Umgekehrte. Brechen Spekulation und Vermögenspreise zusammen, sackt auch die Nachfrage … wieder in sich zusammen. Der verschwindende fiktive Reichtum löst eine Rezession aus (Zeise 2010, 160 f).

6.    Perspektiven der Entwicklung Europas

Diese Situation ist 2008 eingetreten und seitdem agiert die europäische Union im Krisenmodus. Aus deutscher Perspektive ist aus der ökonomischen Krise eine Schuldenkrise geworden, weil sich die deutsche Ökonomie - jedenfalls vorübergehend - auf Wachstumskurs befindet. Die Krisenreaktion hatte unterschiedliche Phasen. Auf die Finanzkrise antworteten die Staaten allesamt mit nationalen Bankenrettungsschirmen. In der BRD wurde der SoFFin aufgelegt mit einem Volumen von 400 Mrd. Euro Bürgschaftsermächtigung und weiteren 80 Mrd. einbezahltem Kapital (FMSF-G 2008), der ausschließlich dazu diente, deutsche Banken zu stützen. In dieser ersten Phase gab es keine europäische Bankenrettung. Die Staaten reagierten nach dem Moto "Rette sich wer kann", womit zentrifugale Tendenzen auch im Zentrum der EU deutlich sichtbar wurden.Auf die nationale Bankenrettung folgten ebenfalls nationale Konjunkturprogramme, die aber immerhin europäisch - und sogar global - in dem Sinne abgestimmt wurden, dass in allen Staaten Investitionsprogramme aufgelegt wurden, so dass die staatlich induzierte Nachfrage nicht einfach diffundieren konnte. Die EU verkündete, es gebe ein europäisches Konjunkturpaket in einer Größenordnung von 200 Mrd. Euro. Dieses Paket bestand jedoch aus der Summe der nationalen Pakete und weiteren 30 Mrd. eh geplanten, aber vorgezogenen und umgeschichteten Investitionen der Union (EU Kommission 2008). Die EU hat keine Kompetenzen und keine Mittel, um eine eigenständige Konjunkturpolitik zu betreiben. Deutschland legte ein Konjunkturprogramm, populär die Abwrackprämie, in Höhe von - im weltweiten Vergleich bescheidenen - 80 Mrd. auf. Im dritten Akt der Krise wurde das Finanzsystem der Eurozone über Kredite an einzelne Staaten, zunächst Griechenland, Portugal, Irland und dann auch Zypern und Spanien, zu stabilisieren versucht. Kredite wurden im Frühjahr 2010 als Direkthilfen an Griechenland vergeben, das sich - ebenso wie die anderen Staaten - Kredite auf dem Finanzmarkt nur zu nicht refinanzierbaren Zinsen leihen konnte. Schon im Mai 2010 wurde für solche "Hilfsprogramme" ein Rettungsfonds, der EFSF, eingerichtet, der Bürgschaftsgarantien in Höhe von 440 Mrd Euro eingehen kann. Dieser Fonds soll durch einen dauerhaften Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst werden, in den - anders als in den EFSF - ein bestimmter Anteil bar eingezahlt werden muss. Das Gesamtvolumen der Garantieermächtigung soll insgesamt bei 700 Mrd. liegen, wovon die BRD 190 Mrd. garantiert, sofern nicht Nachschusspflichten entstehen, etwa weil andere Staaten ihren Anteil nicht stemmen können. Die "Schuldnerstaaten" profitieren allerdings nur im geringen Umfang von den Hilfen. Von den 164 Mrd., die an Griechenland gezahlt wurden, kamen nur 21 Mrd. dem Staatshaushalt zugute. Von 79 Mrd. für Portugal gingen 24 Mrd. und von 67,5 Mrd. für Irland 15,6 Mrd. in den Staatshaushalt. Der Rest blieb im Finanzsystem (FTD 18.7.2012), d.h. stabilisiert auch das Privatbankensystem in den "Geberländern". Im Falle Spanien sollen die Hilfen direkt an die maroden Banken fließen, was von der Regierungsmehrheit im Bundestag verbal abgelehnt wird, weil sie den Staat als Schuldner in der Pflicht wissen wollen. Was nichts anders heißt als: Der Nationalstaat haftet für "seine" nationalen Banken. Die "Hilfen" dürfen zukünftig nach dem ESM-Vertrag und wurden auch bisher nur gegen rigide Kürzungs-Auflagen für die Staaten vergeben. Die Kürzungen betrafen im wesentlichen soziale Standards. Angeordnet wurden beispielsweise Kürzungen staatlicher Gehälter, eine Reduzierung des öffentlichen Dienstes auch durch Privatisierung von Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge, für die der AEUV nicht schon den Wettbewerb anordnet, nämlich für das Gesundheitswesen, die Bildung oder die Wasserversorgung. Angeordnet wurden Mehrwertsteuererhöhungen, die Anhebung des Rentenalters oder direkte Rentenkürzungen, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und schließlich eine Reduzierung der Lohnkosten (auch außerhalb des öffentlichen Sektors), was nur mit Eingriffen in die Tarifautonomie umgesetzt werden kann. Inzwischen hat sich außerhalb Deutschlands herumgesprochen, dass die verordneten Kürzungsprogramme die ökonomische und finanzielle Misere der Staaten verschärfen und nicht etwa beheben. Die Folgen für die Länder waren verheerend, was am Beispiel Griechenland exemplifiziert werden kann. Griechenland konnte im Zeitraum zwischen 2001 und 2007 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukte von 28,3 % verzeichnen, das im gleichen Zeitraum für die Bundesrepublik nur 8,6 % betrug. Mit der Finanzkrise geriet ganz Europa in die Rezession. Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik fiel 2009 um 4,9 %, konnte sich aber bald wieder erholen, so dass zwischen 2008 und 2010 ein Minus von 1,6 % zu konstatieren ist, 2011 wuchs die Wirtschaft der Bundesrepublik nach Angaben der EU Kommission um 2,9 %. Für Griechenland wurde zwischen 2008 und 2010 ein Minus von 6,6 % festgestellt und auch 2011 befand sich Griechenland weiter in der Rezession mit einem Minus von 5,5 % des BIP. Das hatte zur Folge, dass der Durchschnittsverdienst in Griechenland allein zwischen Mai 2011 und 2012 um ein Viertel sank, die Arbeitslosigkeit im Juni 2012 auf 21 % anstieg und die Jugendarbeitslosigkeit von (zu hohen) ca. 25 % in 2008 auf gegenwärtig über 50 % wuchs. Zu Recht wird inzwischen von einer verlorenen Generation im Süden der EU gesprochen. Diese "nackten" Zahlen deuten auf soziale Verwerfungen hin, die für die Bevölkerung kaum noch erträglich sind. Gleichzeitig führten die Kürzungsprogramme keineswegs zu einer Reduzierung des Haushaltsdefizits. Die Neuverschuldung stieg in Griechenland von 2,6 % im Jahre 2006 auf 12,7 % in 2009 und hatte 2011 einen Umfang von 11,9 %. Durch die gesunkene Wirtschaftsleistung und die erhöhte Neuverschuldung stiegen die griechischen Gesamtschulden von - das Maastricht-Kriterium deutlich überschreitenden - 97,1 % in 2006 auf 165 % des BIP im Jahre 2011 (EU Kommission 2011). Die von der EU verordnete Austeritätspolitik hatte im Ergebnis erstens eine desaströse Verschlechterung der soziale Lage in Griechenland zur Folge und war zweitens zur Erreichung des proklamierten Zieles, nämlich Abbau der Schulden, ungeeignet.Die Antwort auf die Krise, die von der Bundesregierung verfolgt wird, besteht prima facie aus "Sparprogrammen". Neue Schuldenobergrenzen von nur 0,5 % des BIP wurden im Fiskalpakt vereinbart. Das kann nur durch Kürzungen im Bereich der staatlichen Leistungen geschehen, d.h. durch einer verschärften Umverteilung von unten nach oben. Um diese auch durchzusetzen versucht insbesondere die BRD, der Europäischen Exekutive ein Durchgriffsrecht auf die nationalen Haushalte zu verschaffen. Mit dem sog. "six-pack", einem Paket von Richtlinien und Verordnungen wurde die Berichtspflicht in Haushalts- und Wirtschaftsprogrammen verschärft. Der Fiskalvertrag verpflichtet nun Staaten, die ein übermäßiges Defizit im Sinne des Maastricht Vertrages haben, der europäischen Exekutive Haushalts- und Wirtschaftspartnerschafts(!)programme zur Genehmigung vorzulegen, d.h. die EU bekommt mit Blick auf die nationalen Haushalte eine Vetoposition. Ratspräsident Rompuy hat Ende Juni 2012 seinen Vorschlag für die Weiterentwicklung der EU vorgelegt, dessen wesentlicher Baustein ein Durchgriffsrecht der EU auf die Haushalte der Mitgliedstaaten ist (Rompuy 2012). Zugespitzt heißt das: Weil die durch die Wettbewerbsordnung induzierte Kürzung der Sozialleistungen national auf zu großen Widerstand stößt, soll diese nun zentral durch die EU angeordnet werden. Diese Form einer autoritären Wirtschaftsregierung (ausführlich Fisahn 2011), über die eine strikte Austeritätspolitik verfolgt wird, bestimmt gegenwärtig den Entwicklungsweg der EU und ist die favorisierte "Krisenlösung" der konservativen Kräfte unter Führung der deutschen Bundesregierung.Diese Form der Krisenlösung stößt erstens auf den Widerstand der Bevölkerung in den betroffenen Ländern, weshalb die Gefahr besteht, dass sie auch innenpolitisch durch autoritäre Maßnahmen abgesichert wird (Oberndorfer 2012: 68). Weil die Austeritätspolitik zweitens auch im Sinne der propagierten Ziele geradezu kontraproduktiv ist, wird es wahrscheinlich, dass sich andere Formen der Krisenbewältigung durchsetzen. Dabei besteht eine Variante im Erstarken zentrifugaler, national-chauvinistischer Tendenzen, die nicht nur am Zulauf entsprechend ausgerichteter politischer Organisationen von der Front National und FPÖ über die Wahren Finnen bis de Wilders PVV abzulesen sind. Diese Tendenzen erreichen auch das politische Zentrum der EU, wenn man an die nur national orientierten Antworten auf die ökonomische Krise denkt, deren logische Folge die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist. Nach der Wahl von Hollande zum französischen Präsidenten hat sich die europäische Sozialdemokratie auf den Weg zu einer eigenen Positionsbestimmung gemacht. Dabei zeichnet sich ab, dass die konservative Kürzungspolitik mitgetragen, aber ergänzt werden soll um eine Erhöhung der europäischen Strukturhilfen für die Krisenländer - was natürlich ein Widerspruch ist und nicht jeder Widerspruch ist Dialektik. Mit Blick auf die Finanzmärkte hat sich die Sozialdemokratie zur Forderung nach einer Transaktionssteuer durchgerungen, aber noch keineswegs zu einer Re-Regulierung der Finanzmärkte. Diese wäre allerdings mit dem sozialdemokratischen Modell des Neoliberalismus - Wettbewerbsfähigkeit durch Fordern und Fördern - vereinbar (Buckel u.a. 2012: 31). Die europäische Linke hat sich zunächst auf die Abwehr der konservativen Austeritätspolitik verständigt und in dieser Auseinandersetzung konsolidiert und möglicherweise gestärkt, wenn man aus den Erfolgen von Syriza, der niederländischen SP oder von Jean-Luc Mélenchon eine Tendenz ableitet. Die Linke hat über die Regulierung der Finanzmärkte eine intensive Diskussion geführt und sinnvolle Vorschläge vorgelegt (Wahl 2009: 99), aber keineswegs eine konsistente Vorstellung einer europäischen Einigung jenseits des neoliberalen Modells. Ansätze für die Zukunft finden sich in Vorschlägen "Europa neu begründen" oder eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die eine neue konstitutionelle Grundlage eines vereinten Europas jenseits des Wettbewerbsmodells entwickelt. Ein mittelfristiges Konzept müsste - wenn die vorstehende Analyse zutrifft - darauf drängen, erstens die Liberalisierungspflicht für den Kapitalverkehr aufzuheben und umzudrehen und zweitens durch Strukturveränderungen das Steuer- und Sozialdumping zu beenden, indem Vorschläge für eine intelligente Harmonisierung sowie eine eigenständige Finanzstruktur der EU mit der Möglichkeit, Konjunktur- und Sozialpolitik zu betreiben, entwickelt werden. Carlo Schmid hat schon bei der Diskussion um die EGKS auf den Konstruktionsfehler hingewiesen, der im Verlauf der europäischen Entwicklung nicht behoben, sondern verschärft wurde: "Wenn eine supranationale Behörde, oder sagen wir ‚Autorität' funktionieren soll - wenn man das will, dann müsste die hohe Behörde umfassendere Verantwortung und Kompetenzen haben, als die hohe Behörde des Schumanplans sie hat. Sie müsste nämlich verpflichtet sein - und dieser Verpflichtung müssten korrespondierende Befugnisse entsprechen -, für die sozialen und finanziellen Folgen ihrer wirtschaftlichen Anordnungen aufzukommen, mit Mitteln, die sie beschaffen muss" (Schmid, 1951: 6512). 

Vollständiger Artikel: bei attac.herford